Photoplastik

Secession, Wien, 22.4. – 19.6.2016

Franz Thalmair

Beinahe auf den Tag genau 114 Jahre nachdem Max Klingers Skulptur „Beethoven“ (1902) im Zentrum der XIV. Ausstellung der Secession erstmals zu sehen war, ist der Komponist an diesen Ausstellungsort zurückgekehrt: Durch und durch weiß, zusammengesetzt aus 25 Polyamid-Teilen, auf einem luftigen Aluminiumsockel in ebenso luftiger Gesellschaft mit zahlreichen weiteren Plastiken. Die mit 3D-Druckverfahren hergestellte Kopie sitzt an jener Stelle im Hauptraum des Gebäudes, an der das Original aus so preziösen Materialien wie Marmor, Alabaster oder Bernstein über die Ausstellung wachte. Heute überblickt Beethoven die Schau des aus Österreich stammenden Künstlers Oliver Laric, die zeitgemäßer nicht sein könnte und in der die Idee des secessionistischen Umbruchs im Zeitalter digitaler Vernetzung beispielhaft fortgesponnen wird.

„Photoplastik“ ist eine auf den ersten Blick herkömmliche, ja überkommene Skulpturenausstellung, in der jedoch großteils mit dem 3D-Drucker reproduzierte, historische Vorlagen zu sehen sind. Jede der in einem spannungsreichen Rhythmus im Raum arrangierten Figuren hat ihre eigene Entstehungsgeschichte, egal ob nun die Plastik „Lucius Quinctius Cincinnatus“ im späten 18. Jahrhundert entstand und heute im Schönbrunner Schlosspark steht, oder ob es sich um die „Hl. Veronica“ handelt, die erst vor wenigen Jahrzehnten im öffentlichen Raum von Wien platziert wurde. Die Entstehung der von Laric ausgewählten Objekte erzählt nicht nur vom jeweiligen Produktionszusammenhang, sondern immer auch von besonderen Momenten der Re-Produktion. Dadurch kreiert Laric eine Schleife, die die Ausstellung nicht nur zu einem räumlichen Erlebnis macht, sondern immer auch einen pointierten Kommentar zu sich selbst abgeben lässt. Der nackte „Sog. sandalenbindende Hermes“ etwa, der dem bekleideten „Lucius Quinctius Cincinnatus“ zum Verwechseln ähnlich sieht, ist eine römische Kopie nach einem griechischen Original. François Willems „Selbstbildnis“ (um 1860), das Laric in vier unterschiedlichen Größen zeigt, wurde ursprünglich mit einem fotografischen Patent angefertigt, das die heutigen 3D-Drucktechniken vor mehr als 150 Jahren vorwegnimmt. Diese Liste lässt sich für jedes einzelne der Ausstellungsstücke fortsetzen.

„[Oliver Larics] Bestreben, museale Kunstobjekte als 3D-Daten über geografische, soziale und kulturelle Grenzen hinweg zu verbreiten und einer zunehmend digitalen Gesellschaft zugänglich zu machen, stellt für viele Museen eine Herausforderung dar, die durch Unklarheiten im Hinblick auf Urheber- und Nutzungsrechte verkompliziert wird,“ stellt Bettina Spörr, Kuratorin der Ausstellung, fest und unterstreicht den politischen Aspekt des Werks. Alle 3D-Scans, die Laric für die Ausstellung angefertigt hat, veröffentlicht er unter Threedscans.com und stellt die Daten zum Download zur Verfügung. In Absprache mit Museen und staatlichen Sammlungen legt er seit 2012 ein Archiv an, dessen Idee bei manchen Kunstinstitutionen bemerkenswerte Reaktionen hervorruft. So geschehen bei Max Klingers „Beethoven“, dessen Scan vom Museum der bildenden Künste in Leipzig nicht genehmigt wurde, was Laric dazu zwang, die Skulptur über den Umweg der – offiziell erlaubten – Fotografie zu vermessen und anschließend ins Dreidimensionale umzurechnen. Klinger ist seit mehr als 80 Jahren tot, seine Werke gelten als gemeinfrei.

Peter Weibel macht das Potenzial des 3D-Drucks an dem von Laric stets mitverhandelten Moment der Demokratisierung fest: „Bisher standen die Mittel der industriellen Produktion nur großen Unternehmen zur Verfügung. Wenn jedoch jeder dreidimensionale Objekte anfertigen kann und wenn die Entwürfe dafür frei zugänglich im Netz sind, ändert sich auch die ökonomische Struktur unserer Gesellschaft.“ Als grundlegend für einen solchen Umbruch setzt der Theoretiker eine neue Sicht auf die Dichotomie von Original und Kopie voraus. „Multiples“, so Weibel im gleichen Aufsatz zur 5. Moskau Biennale, „haben nichts zu tun mit dem Konzept von Original und Kopie. Sie sind keine Vervielfachungen von Originalen, sondern Vervielfachungen ohne Originale. Multiples sind Originale, aber keine Unikate.“ Der Autor sieht darin nicht zuletzt auch die demokratischen Ansprüche der Moderne als ästhetische Praxis formuliert.

Im Falle von „Photoplastik“ liegt die Verschiebung von der Originalität des Unikats hin zur Vervielfachung nicht nur in den technischen Möglichkeiten dreidimensionaler Reproduktionsverfahren per se – es handelt sich also keineswegs um einen von technologischen Innovationen getriebenen Formalismus – sondern vor allem in den Strategien der Distribution der Daten, die als Grundstein für zukünftige künstlerische Produktionen herangezogen werden können. Dies ist zentral in der Ausstellung und nährt Larics Beitrag zu einem gesellschaftspolitischen Diskurs, dem sich viele Institutionen immer noch verwehren. Umso wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Zugänglichkeit der Schau, die nicht nur clever, sondern – schlicht und einfach – auch schön anzuschauen ist.